2 DM-Titel in Nürnberg

 (07.07.2008)
Olaf Dorow / Marc Gogol 1. TagDas konnte nichts werden. Carolin Nytra fühlte hier ein Zipperlein und dort und dort auch. Die Beine waren wie Blei. Sie wollte am liebsten losheulen. Dann hockte sie sich in den Startblock, rannte beinahe Bestzeit und wurde Deutsche Meisterin über 100 Meter Hürden. Zwischen sie und die Zweitbeste hätte locker ein Fahrrad gepasst. Ihr Trainer Jens Ellrott fand, "dass das einer der schwierigsten Läufe ihrer Karriere" war. Dabei goss es weder aus Kübeln noch stürmte es im Nürnberger Stadion so, dass die Hürden drohten wegzufliegen. Es wehte kaum ein Lüftchen und die Bahn war schön trocken. Der besondere Schwierigkeitsgrad kam von der klaren Favoritenstellung der 23-jährigen Sprinterin vom Bremer LT. So etwas war ihr eigentlich noch nie widerfahren, auch nicht im letzten Jahr. Da fehlte bei den Deutschen Meisterschaften wie auch diesmal Kirsten Bolm, aber da erwartete niemand Nytras Sieg. Sie wurde mit 13,24 Sekunden Überraschungsmeisterin. Diesmal schaffte sie 12,87 Sekunden. Die Steigerung darf man als Quantensprung bezeichnen. Ein jeder hatte sie vorn erwartet. Das kann ein ganz schöner Rucksack sein und kommt, rein psychologisch betrachtet, dem Weg eines Kickers zum entscheidenden Elfmeter recht nahe. Carolin Nytra hat dann sicher verwandelt - und dabei zwar nicht die Außenwelt, aber doch sich selbst überrascht. Dass sie bei all der Anspannung so schnell unterwegs war, "damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet". Sie ist glücklich und stolz. In Peking wird das viel einfacher. Sie war ja schon für Olympia qualifiziert, und jetzt kann sie dort als "Jägerin" auftreten, so nennt sie es. "Ich häng' mich einfach an die anderen dran", sagt sie. Ihr Trainer traut ihr zu, dass sie das Halbfinale erreicht. Vielleicht hat zum guten Gelingen in Nürnberg auch beigetragen, was unmittelbar vor dem Hürdenfinale an der Weitsprunggrube geschah. Ihr Freund Sebastian Bayer von Bayer Leverkusen landete bei 8,15 Meter und wurde seinerseits auch Deutscher Meister. Jetzt fahren beide gemeinsam nach Peking. Heute könnte in Nürnberg eine zweite Bremerin zur Deutschen Meisterin gekürt werden. Um 13.50 Uhr tritt Jonna Tilgner zum Finale über 400 Meter Hürden an. Ihren Vorlauf hatte sie gestern mit weitem Vorsprung in 56,33 Sekunden gewonnen. Allerdings liegt die Olympia-Norm in dieser Disziplin bei 55,35 Sekunden. Der mentale Rucksack wiegt bei Jonna Tilgner ähnlich schwer wie bei Carolin Nytra, auch sie geht als Favoritin an den Start. Da könnte sich ganz gut auswirken, dass sie sich mit mentalen Rucksäcken auskennen müsste. Jonna Tilgner studiert Psychologie. 2. TagNoch nie gab es zwei DM-Titel in einem Jahr für Bremern - noch nie zwei Athleten, die sich für Olympia qualifizieren konnten ! - Jonna Tilgner macht den Zweifachtriumpf in Nürnberg perfekt.„Wenn wir nicht mit zwei Titeln nach Hause kommen, haben wir ein Erklärungsproblem“, befürchtete Jens Ellrott angesichts der Favoritenstellung seiner Athletinnen im Vorfeld der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Nürnberg. Jonna Tilgner hat ihrem Trainer mit einem souveränen Sieg über 400 Meter Hürden am zweiten Tag der DM dieses Problem erspart.Die Läuferin vom Bremer LT/TuS Komet Arsten schaffte damit Gleiches wie schon ihre Vereinskameradin Carolin Nytra über 100 Meter Hürden am Vortag: Den DM-Titel und eine klasse Zeit. „Jens hat noch nie einen 55er-Lauf von mir gesehen, also haben wir gesagt, es sei jetzt mal an der Zeit“, scherzte eine mehr als glückliche Jonna Tilgner nach der Siegerehrung mit der Goldmedaille um den Hals. 55,73 Sekunden bedeuteten persönliche Bestzeit und ein Riesenvorsprung vor der Zweiten, Tina Kron (SV Schlau.com Saar 05 Saarbrücken, 57,11 Sekunden). „Es war sicher der optimale Lauf der bisherigen Saison. Ich habe über den Hürden wenig verloren und konnte auch über den berühmten toten Punkt hinaus noch was tun“, analysierte Jonna Tilgner ihren Rennverlauf, während sie von ihrer Konkurrentin hörte, dass diese zur Hälfte der Strecke ein Stolperer aus dem Rhythmus gebracht hatte. Aber auch so wäre Jonna Tilgner, die auf den Punkt topfit war, gestern nicht zu schlagen gewesen.Denn die Aufregung vor dem großen Auftritt legte sich pünktlich im Call-Room des easy-Credit-Stadions. „Da hatte ich dann kein flaues Gefühl mehr im Magen, und das war auch gut so“, berichtete Jonna Tilgner, während es ihrem Trainer Jens Ellrott ganz anders ging: „Ich selbst war noch nie so nervös vor einem Rennen. Aber genau so wie Carolin Nytra wusste Jonna ganz souverän mit ihrer Favoritenrolle umzugehen. Sie wollte hier gewinnen, wollte Bestzeit laufen und hat das in sympathischer Art und Weise einfach gemacht.“ Und ganz nebenbei löste Jonna Tilgner noch Jens Ellrotts potenzielle Erklärungsprobleme.Wenn überhaupt etwas an diesem aus Bremer Leichtathletik-Sicht perfekten Wochenende gefehlt hat, war dies die Einzelnorm für die Olympischen Spiele in Peking von 55,35 Sekunden. Dennoch wird Jonna Tilgner ihre Klubkameradin Carolin Nytra fast sicher nach China begleiten. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat die Europacup-Staffel über 4x400 Meter mit Jonna Tilgner an der Spitze dem DOSB vorgeschlagen, der gibt seine nächste Nominierung aber erst am 15. Juli bekannt. Eine quälend lange Zeit für die Bremerin? „Nein, wir sind dieses Jahr die achtbeste Staffel in der Welt und im Durchschnitt der letzten beiden Jahre elfte. 16 Staffeln sind qualifiziert. Außerdem geht es am Freitag schon gemeinsam ins Trainingslager, und das würde ja keinen Sinn machen, wenn man hinterher wieder anders entscheidet“, plant auch Jonna Tilgner jetzt fest für das Abenteuer Peking.
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