Jonna Tilgner macht Babypause
(01.11.2010)
Von
Jörg Niemeyer
Bremen. Zu sehen ist noch nichts -
zumindest nicht an ihrem Bauch. Allenfalls in ihrem Gesicht ist
abzulesen, warum Jonna Tilgner als Leistungssportlerin eine Pause
einlegt. Es ist dieses strahlende Lächeln, das die werdende Mutter
verrät. Ende April des vorolympischen Jahres 2011 werden die 25-Jährige
und ihr schwedischer Ehemann Ola Eltern."Ein Wunschkind", sagt die 400-Meter-Hürdenläuferin. "Eine
Überraschung", sagt ihr Trainer beim Bremer Leichtathletik-Team/TuS
Komet Arsten, Jens Ellrott."Wir haben das schon in Angriff genommen"Ein
Wunder ist es nicht, dass sich die angehende Diplom-Psychologin weniger
überrascht als ihr Coach zeigt. "Naja, wir haben das schon in Angriff
genommen", gibt Jonna Tilgner verschmitzt zu. Allenfalls die Tatsache,
dass der Erfolgsfall so schnell eingetreten ist, habe dann auch sie ein
wenig überrascht. Im Sport stellen sich Erfolge jedenfalls nicht über
Nacht ein. Es bedurfte schon jahrelangen harten Trainings, das 2008 zu
ihrem ersten deutschen Meistertitel und zur Olympia-Teilnahme in Peking
führte. Gute, aber eben noch nicht sehr gute nationale und
internationale Resultate hatten die Studentin bereits 2006 und 2007 zu
Bremens Sportlerin des Jahres werden lassen.Hinter dem Leistungsvermögen zurückgebliebenDoch
in inzwischen fünf Jahren in Bremen mit Trainer Jens Ellrott hat die
25-Jährige auch erleben müssen, dass ihr Weg nicht nur bergauf führt.
Gerade die vergangene Saison lief überhaupt nicht so, wie es sich Coach
und Schützling vorgestellt hatten. 2009, im Jahr ihres zweiten
DM-Titels, hatte Tilgner mit 55,71 Sekunden ihre persönliche Bestzeit
aufgestellt - 2010 lief sie als Titelverteidigerin in 56,82 Sekunden zu
DM-Bronze. Wenigstens Bestzeit in einem der wichtigsten Rennen der
Saison, aber zu schlecht, um sich für höhere Ziele zu empfehlen. Noch
schlimmer: Niemand hatte eine Erklärung, warum die Läuferin trotz bester
Gesundheit und guter Trainingsbedingungen so weit hinter ihrem
Leistungsvermögen zurückblieb.Tilgner passt die Pause "ganz gut""Ich
bin so euphorisch aus dem Frühjahrs-Trainingslager in den USA
zurückgekommen", sagt Jonna Tilgner, "da war es umso ärgerlicher, dass
die Saison danach so verkorkst war." Am Ehrgeiz, so unterstreicht sie,
habe es jedenfalls nicht gelegen. Und dennoch: Die Motivation habe mit
jeder unbefriedigenden Zeit natürlich mehr gelitten. "So gesehen, passt
mir die Pause aufgrund der Schwangerschaft ganz gut. Ansonsten hätte ich
im kommenden Winter sehr hart trainieren müssen." So wie sie es seit
2005 immer getan hat. Da kann sich eine gewisse Müdigkeit durchaus
einstellen.Olympische Spiele 2012 fest im BlickNachdem
Jonna Tilgner vor Jahren schon einmal eine sportliche Schaffenspause
eingelegt und sich danach zum Glück für die Fortsetzung ihrer Karriere
entschieden hat, folgt nun also die zweite Auszeit. "Jetzt ganz
aufzuhören, war und ist aber überhaupt kein Thema für mich", sagt sie.
Im Gegenteil: Sie hat die Olympischen Spiele 2012 in London ganz fest im
Blick, würde dann nicht nur in der 4x400-Meter-Staffel, sondern zu gern
auch als Einzelläuferin in ihrer Spezialdisziplin an den Start gehen.Zweifel
an einer Rückkehr in den Leistungssport hegt Jonna Tilgner jedenfalls
nicht. "Es hat schon einige Beispiele dafür gegeben, dass Frauen nach
der Geburt ihres Kindes erfolgreich in den Sport wieder einsteigen." So
könnte die Weitspringerin Bianca Kappler, die 2006 Mutter wurde und
danach wieder großartige Erfolge feierte, wichtige Ratgeberin werden.
Denn logischerweise ist die Schwangerschaft nicht nur für die angehende
Mama, sondern auch für ihren Trainer etwas Neues. "Man lernt ja nie
aus", sagt Jens Ellrott, "ich werde mich jetzt mal umhören, was Jonna
noch alles machen darf.""Für Jonna kann's nichts Schöneres geben"So
überraschend die neue Situation für ihn auch ist - er freut sich riesig
mit seiner Läuferin. "Meine ursprünglichen Planungen für das
Trainingsprogramm sind zwar über den Haufen geworfen, aber für Jonna
kann's nichts Schöneres geben. Und vielleicht bekommt sie nach der
unbefriedigenden Saison genau den richtigen Schub für Olympia 2012."
Vorausgesetzt, dass alles gut läuft, verbleiben nach der Geburt ja noch
15 Monate bis zu den Spielen. Das Fernziel ist klar, auch wenn der
olympische Glanz derzeit höchstens am Horizont schimmere, sagt Jonna
Tilgner. Für London baut sie auf die Unterstützung ihres kompletten
Umfelds. Damit meint sie nicht nur ihren Coach, sondern auch ihren
Ehemann, der sich dann verstärkt um den Nachwuchs kümmern müsse.Doch
vor London und vor der Geburt des ersten Kindes liegt buchstäblich noch
eine weitere Prüfung vor der 25-Jährigen: Im Dezember möchte sie an der
Bremer Uni ihr Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie zum
Abschluss gebracht haben. Derzeit schreibt Jonna Tilgner an der
Diplomarbeit, die sich mit Strategien zur Bewältigung von hoher
Arbeitsbelastung beschäftigt. Titel der Arbeit: "Wie viel Ausgleich
braucht der Mensch?"Ein Titel, der aktuell auch als Zwischenzeile für Jonna Tilgners Leben gut passen würde.(Weserkurier 28.10.2010)