3 DM Titel - 2 Meisterschaftsrekorde - 2 WM-Normen

 (06.07.2009)
Zwei Titel für das TraumpaarDer deutsche Sport ist um ein weiteres Sommermärchen reicher. Spannender hätte auch Hollywood das Drehbuch für den Showdown bei den Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Ulm nicht schreiben können. Carolin Nytra vom Bremer LT sprintet gestern um 15.50 Uhr souverän über die 100 Meter Hürden und sichert sich mit 12,78 Sekunden den Titel - neue persönliche Bestzeit. Beflügelt von dieser Leistungsexplosion geht Lebensgefährte Sebastian Bayer zur Weitsprunganlage, konzentriert sich kurz und legt nur zwei Minuten später mit 8,49 Meter einen Riesensatz hin. Die Belohnung für das Traumpaar der Leichtathletik: Neben dem Gewinn der Meistertitel sind beide Bremer für die Weltmeisterschaft in Berlin qualifiziert. "Endlich hat mal alles gepasst", jubelte Carolin Nytra nach ihrem gelungenen Lauf über die Hürden. Dabei scheint die Bremerin nicht nur außerordentlich erfolgreich über die Hürden laufen zu können, sondern auch ein gutes Gefühl für Prophezeiungen zu haben. So hatte Nytra im März, nach Ende der Hallensaison, ihrem Trainer Jens Ellrott vorausgesagt, dass sie bei den deutschen Titelkämpfen mit 12,78 Meisterschaftsrekord laufen werde. "Das war mein Traum", erzählt Carolin Nytra. Die Prophezeiung in die Tat umzusetzen, gestaltete sich jedoch nicht so einfach. Immer wieder wurde die Bremerin in der Vorbereitung von Krankheit und Verletzungen zurückgeworfen. Aber nicht nur körperlich haderte die 24-Jährige mit sich und der Welt, auch mental lief es nicht - bis gestern. "Zehn Tage lang hat Sebastian gegen meinen sturen Mädchenkopf angeredet", erzählt die neue deutsche Meisterin. Sie sei so negativ gewesen in den letzten Wochen, dass sie die psychologische Aufmunterung sowohl des Trainers wie auch des Lebensgefährten bitter nötig hatte. "Diese blöden 13 Sekunden für die WM-Norm hatten mich völlig blockiert", erklärte Carolin Nytra, die gestern nur froh war, dass "ihr Traum doch noch in Erfüllung gegangen ist." Auch Sebastian Bayer konnte nach seiner Leistungsexplosion befreit aufatmen. "Man hat mir bestimmt die Erleichterung angemerkt", grinste der 23-jährige Lebensgefährte von Carolin Nytra. Dabei war er seinen gestrigen Wettkampf recht locker angegangen. Bereits im ersten Sprung setzte sich Bayer mit 8,14 Meter ziemlich ungefährdet an die Spitze des Starterfeldes. Allerdings fehlte noch ein Zentimeter für die geforderte WM-Norm. Das irritierte den Bremer Hallen-Europameister aber nicht. "Nach meinem ersten Sprung war mir klar, dass ich heute noch mehr schaffen würde. Nur einmal noch ein bisschen besser abspringen, dann geht’s", beschrieb der deutsche Weitsprung-Meister seine mentale Verfassung. Und die war ziemlich stabil gestern: Trotz der Konzentration auf seinen Wettkampf ließ es sich Bayer nicht nehmen, während des Laufs seiner Freundin, diese anzufeuern und von der anderen Seite des Stadions zu applaudieren. "Dass Caro so schnell unterwegs war, hat mich echt beflügelt", freute sich Bayer nach seinem Satz über 8.49. Damit meldete er sich nur zwei Minuten nach dem Triumph seiner Freundin als Dritter der diesjährigen Weltrangliste eindrucksvoll in die Freiluftsaison zurück. "Sebastian ist unglaublich cool", beschreibt Jens Ellrott seinen Athleten. "Er war in den vergangenen Wochen der ruhige Pol in unserer Gruppe." Nur ein Mal gab es einen kleinen Emotionsausbruch. Als Bayer den Deutschen Leichtathletikverband vor ein paar Tagen kritisierte, weil er sich wegen der WM-Norm zu sehr unter Druck fühlte. "Ich denke, dass war gar nicht so ernst gemeint", sagt Ellrott, "der musste einfach mal Dampf ablassen." Und der DLV dürfte Bayers Kritik angesichts der drittbesten Weite weltweit wohl kaum übel nehmen. Jonna Tilgner so schnell wie nie zuvor Jonna Tilgner war glücklich - nur noch glücklich. Nach wochenlanger Formsuche in diversen Wettkämpfen platzte bei der 24-Jährigen ausgerechnet im Finale der deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm der Knoten: Die Studentin verteidigte über 400 Meter Hürden nicht nur ihren Titel, sondern lief in 55,71 Sekunden über die zehn Hindernisse auch gleich noch persönliche Bestzeit. "Endlich habe ich das abgerufen, was ich mir die ganze Zeit vorgenommen hatte", freute sich Jonna Tilgner über ihre Leistungsexplosion, die dem Bremer LT/TuS Komet Arsten nach den großartigen Vortagssiegen von Sebastian Bayer im Weitsprung (8,49 m) und Carolin Nytra über 100 Meter Hürden (12,78/wir berichteten) die dritte nationale Meisterschaft bescherte. "Bei Jonna habe ich damit am wenigsten gerechnet", gestand ein erleichterter Trainer Jens Ellrott, für den das Wochenende kaum besser hätte laufen können, nachdem die bisherige Vorbereitung auf die Heim-WM im August in Berlin für das Bremer Trio nur Enttäuschungen gebracht hatte. In Ulm zeigte sich nun, dass nicht alles verkehrt gewesen sein konnte, was die Athleten und ihr Coach in den vergangenen Wochen angestellt hatten. Zumindest Sebastian Bayer und Carolin Nytra können sich konzentriert auf die WM vorbereiten - bei Jonna Tilgner gibt es diesbezüglich aber noch Unsicherheit, weil sie die WM-Norm (55,50) um 21 Hundertstelsekunden verpasste. "DLV-Disziplintrainer Volker Beck will sie trotzdem für die WM nominieren", hofft Jens Ellrott auf ein glückliches Ende für Tilgner, die mit Blickrichtung WM ein zweites Eisen im Feuer hat: einen möglichen Start in der 400-Meter-Flachstaffel des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV). "Falls die Staffel gemeldet wird, habe ich gute Chancen", sagt sie selbstbewusst. Dieses wiedergewonnene Selbstbewusstsein fußt auf zwei Erkenntnissen. Die unwichtigere: Es gibt nach den gestrigen Ergebnissen nicht genügend 400-Meter-Flachläuferinnen, die die Bremerin aus dem Kader drängen könnten. Die wichtigere: Jonna Tilgner konnte ihre bisherige Hürden-Saisonbestleistung um über sieben Zehntel verbessern. "Sie hat ihre Lehren aus dem schwachen Vorlauf gezogen", lobte Jens Ellrott seinen Schützling. Am Sonnabend hatte Tilgner mit 56,58 Sekunden ihre bis dato schwächeren Leistungen noch bestätigt. "Da war ich viel zu passiv", gestand die Athletin. Gestern gab sie dann umso mehr Gas. Der Kick des DM-Finales sorgte dabei ebenso für schnellere Beine wie zwei Konkurrentinnen, die bis zur achten Hürde keineswegs geschlagen schienen. Tina Kron (Saarbrücken/56,39) war an Hürde sieben sogar noch an der Bremerin vorbeigezogen, auch die spätere Dritte Fabienne Kohlmann (Karlstadt/57,10) hielt lange Kontakt zum Führungsduo. Das Stehvermögen in der Endphase des gestrigen Rennens gibt Jonna Tilgner für die nächsten Aufgaben Auftrieb. Und die 24-Jährige präsentiert sich kämpferisch. "Ich will die Norm über 400 Meter Hürden", sagt sie und hat die nächste Gelegenheit vor Augen. Heute fliegt sie zur Universiade nach Belgrad. Die Konkurrenz dort soll sie zu den ersehnten 55,50 Sekunden treiben - und damit das Glück perfekt machen.von: Ruth Gerbracht und Jörg Niemeyer
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